Das Mysterium "Khayyam"





Es gibt eine Lebenseinstellung, die viele radikale Atheisten bei Khayyam auf den ersten Blick wiederfinden und für sich benutzen. Diese Lebenseinstellung betrachtet das Leben mathematisch als das Ergebnis eines Gleichgewichtes der Natur und setzt unwiderrufliche Sterblichkeit voraus. Sie ist die Grundlage einer hedonistischen Lebensweise (kurzum- wir kommen aus dem Nichts - wir gehen ins Nichts- und dazwischen müssen wir zu sehen wie wir uns beschäftigen!). Diese lückenhafte Ideologie findet ihre logische Legitimation nur mit der absoluten Verneinung der wahrgenommenen Realität und Gott.Sie basiert auf die aristotelische Abstraktion:Die Abstraktionstheorie beschäftigt sich mit dem Gelangen des Denkens vom sinnlich gegebenen Einzelnen zum Allgemeinen. Das Denken kann das Allgemeine, die Form, nur vermittels der Vorstellungsbilder erkennen, die von der Wahrnehmung stammen. Dabei sondert das Denken bestimmte Eigenschaften von den konkreten Gegenständen ab. >>Das sogenannte Abstrakte denkt die Denkkraft, wie sie, wenn sie das Stumpfnasige nicht insofern es stumpfnasig, sondern insofern es hohl ist, wirklich dächte, diese ohne Fleisch dächte, in welchem das Hohle liegt- so also denkt sie das Mathematische: Ungetrenntes, als ob es getrennt wäre, wenn sie das Mathematische, insofern es mathematisch ist, denkt>> (Über die Seele III, 8) Der Mathematiker Khayyam lässt genau so wie seine Abstraktionsvorväter in seinen Betrachtungen des öfteren alles Sinnliche weg, er lässt nur das Quantum übrig und betrachtet es für sich. Jedoch bleiben uns diese Mathematiker die Antwort schuldig, wie die abstrakte Erkenntnis aus dem sinnlichen Material gewonnen wird??? Auch andere Abstraktionstheoretiker, die an Aristoteles anknüpfen und sie mit platonischen Elementen verbinden, können auch diese Lücke nicht schliessen; wie z.B. Thomas von Aquin: Der Verstand durchleuchtet vermöge seiner Teilhabe am Licht der göttlichen Vernunft die Vorstellungsbilder und abstrahiert aus ihnen die Formen, die urbildlich in Gottes Verstand vor den Dingen, zugleich abbildlich in den Dingen und schließlich als Allgemeinbegriffe im menschlichen Verstand nach den Dingen existieren.(Summa theologica)

Mit der Benutzung der Abstraktionstheorie für eigene Zwecke wird es möglich eine Logik auf die Beine stellen, um mit Mitteln des Syllogismus gezielt irreführende Schlussfolgerungen zu produzieren. Es ist demnach alles auf der Grundlage unserer fehlerhaften und illusionären Wahrnehmung, die den Schöpfer und die Schöpfung wegen ihrer Fehlerhaftigkeit vermenschlicht oder gar ins Leben ruft. Damit wird der Allmächtigkeit die Charakteristik abgesprochen, um zwischen seinen "Zeichen" und den menschlichen Gedanken die umkehrbare und eindeutige Zuordnung zu unterbinden. Ergo: Die Propheten (Menschen) werden diskreditiert, und die Botschaften geleugnet. Die Folgen und Nebenwirkungen dieser Einstellungen sind in einigen Gedichten Khayyams auffindbar:


1. Zweifel

Einen, den die heutigen iranischen Ultraatheisten für ihre Zwecke missbrauchen, ist Descartes. Sein missverstandener Zweifel wird immer wieder gerne für die Ablehnung von Gottes Existenz in Anspruch genommen. Für Descartes ist jedoch das Bewußtsein des Geistes sich selbst zu wissen, während das Denken Bewusstsein von Gegenständen ist (Die Prinzipien der Philosophie I). Er sieht in der Seele eine vom Körper völlig verschiedene geistige Substanz (subtantia cogitans), die von keinem materiellen Ding abhängt. Während der Körper wie eine mechanische Maschine funktioniert, ist die bewusste Tätigkeit in der Seele konzentriert. Für ihn ist allein die Existenz des Bewusstseins unbezweifelbar, die Existenz der materiellen Welt wird von ihm auf dem Umweg über die Wahrhaftigkeit Gottes bewiesen. Seine Bewußtseinslehre wurde natürlich, wie sollte es doch anders sein, von Zeitgenossischen materialistischen Philosophen wie Gassendi und Hobbes bekämpft.

Dieser Skeptizismus wird jedoch auch von Khayyam aufgegriffen. Meinen deutschen Lesern bleibe ich die Übersetzungen einiger Textstellen solange schuldig, bis ich eine geeignete Übersetzung seiner Gedichte gefunden habe:


Ghomi motafakerand andar rahe din
Jami be gaman fetadeh dar rahe yagheen
Meetarsam az anke bang ayad roozi
Key bikhabaran, rah na anasto na in!

Doch andere Sätze von ihm zeigen, dass er letztendlich keine Hoffnung an dem Skeptizismus hegte:

Chon neest haghighato yagheen andar dast
Natvan be omeede shak hame omr neshast!

(Ungefähre Übersetzung:)

Nur weil es keine handfesten Ergebnisse über die Wahrhaftigkeit der Gewissheit gibt,
kann man nicht sein Leben in der Zukunftsglaube der Skepsis verweilen


2-Depression:

Chon hasele adami dar in deyre do dar
Joz darde delo dadane jan neest degar
Khoram dele anke yek nafas zendeh shavad
Vasoodeh kasi ke khod nazad az madar!

(Ungefähre Übersetzung:)

Da das Resultat der Menschheit in diesem zweitürigen Gebiet
nichts darstellt ausser zunächst gequält zu werden und später sein Leben hinzugeben,
so lebe jenes Herz hoch, das durch einen Atem zum leben erweckt wird,
Und Zufriedenheit dem, der nie geboren wird.


2-Genuss als Linderung (aber nicht Bekämpfung):

Ta key ghame an khoram ke daram ya na?
Veen omr be khoshdeli gozaram ya na?
Por kon ghadahe badeh ke maloomam neest
In dam ke foroo baram bar aram ya na!

(Ungefähre Übersetzung:)

Wie lange soll ich mir noch den Kopf darüber zerbrechen, ob ich betucht bin, oder nicht?
Ob ich meine Lebenszeit frohen Herzens verweile, oder nicht?
Fülle mein Weinglas auf, denn mir ist nicht bewußt
Ob der eingegangene Atem auch wieder ausgehaucht wird, oder nicht!

4-Materialistische Sichtweise als Folge dessen

Afsoos ke beefayedeh farsoodeh shodeem,
Vaz ase sepehr sarnegoon soodeh shodeem,
Darda! Va nedamata! Ke ta cheshm zadeem,
Nabood be kame kheesh naboodeh shodeem!

5-Mathematische Reduzierung der Wahrnehmung:

Gooyand beheshto hooreyn khahad bood
Vanja sheero angobeen khahad bood
Gar ma meyo mashooghe gozeedeem che bak?
Akhar na be aghebat hameen khahad bood!?

(Molana antwortet zu diesem Ghias:
az ghiasash khandeh bar amad khalgh ra
koo choo khod pendasht sahebe dalgh ra)

6- Trotzige Kritik:

(Nach dem Khayyam Wein-trinkend den lieben Gott um Verschiedenes bittet und nichts erhält revoltiert er und sagt ungefähr, möge Gott doch zumindest auch das nehmen, was er besitzt. Plötzlich weht ein Wind und sein Krug zerbricht. Daraufhin sagt er:

Ebreeghe meye mara shekasti Rabbi,
bar man dare eysh ra bebasti Rabbi,
man mey khoramo to meekoni bad masti?
Khakam be dahan, magar ke masti, Rabbi?

Du hast meinen Krug zerbrochen, lieber Gott!
Du hast mir die Tür zu den Annehmlichkeiten geschlossen,lieber Gott!
Ich trinke Wein jedoch scheinst Du angetrunken zu sein,
Asche auf mein Haupt, bist du denn etwa betrunken- lieber Gott?


und trotzig gehts auch weiter:

nakardeh gonah dar jahan keest begoo
ankas ke gonah nakardo chon zeest begoo
man bad konamo to bad mokafat dahi
pas fargh miane mano To cheest begoo!


wer ist denn schon unschuldig auf dieser Welt, sags mir
wer hat denn nie gesündigt und doch gelebt, sags mir
ich tue schlechtes und du bestrafst mich schlecht
Was ist dann der Unterschied zwischen uns beiden, sags mir!


Diese und andere Elemente sind der Grund, warum einige oberflächliche Mitmenschen einen tieferen Sinn für ihre Sinnlosigkeit bei Khayyams Gedichten suchen!

Aber:

Omar Khayyam ist durchaus mehr! Wäre es anders, müsste er finalistisch (payannegar-hadafjoo) sein. Aber er ist es nicht:

Har chand ke rango booye zeebast mara,
Chon laleh rokho cho sarv balast mara,
Maaloom nashod ke dar tarabkhaneye khak,
Naghashe Azal bahre che arast mara.


Und er desavouiert die Primitivität in der Kritik:

Dar kargahe koozegari raftam doosh,
Deedam dohezar koozeh gooyao khamoosh,
Nagah yeki koozeh baravord khoroosh,
Koo koozehgaro koozehkharo koozehforoosh.


Und er Erkennt beispielsweise das Szenario des Jüngsten Gerichtes (und damit verbunden die Kriterien des Monotheismus die dazu führen) an:

Bar man ghalame ghaza cho bi man ranand,
Pas neeko badash chera ze man meedanand?
Dey bimano emrooz cho dey bimano to,
farda be che hojatam be Davar khanand?


Es stellt sich die frage nach dem „Warum“?

Um ihn besser zu verstehen sollte man sich vor Augen führen, von wem oder was er beeinflusst wurde:

Die Kalifen der Bani Ommayeh hatten es nicht geschafft Nord und Ostiran zu erobern. Auf der gegnerischen Seite von ihnen stand die Familie des Propheten (S.A.S.). Diese schickten einen Iraner namens Abumosleme Khorasani (von der familie Bozorgmehr und gebürtiger Isfahani) nach Khorasan, um um die Unterstützung der iranischen Bevölkerung zu werben und die ungerechten Baniommayeh zu stürzen. Diese Bewegung sollte nur halbwegs fruchtbar sein, denn schon mit dem Stürz der Kalifen mit iranischer Hilfe, kam es zur Spaltung in der Prophetenfamilie. Statt Ibrahim ergreift sein Bruder Abolabase safah die Macht und begründet die Abassidendynastie. Eine sehr trockene Dynastie, die vom Folter und Tod Andersdenkender keinen Halt machte.(berühmte Opfer: Hallaj, hanafi, Shafei) Sie fingen bei der eigenen Familie des Propheten(S.A.S) an und kannten kaum Erbarmen. (Der Quatsch mit rassistisch motivierten Vergewaltigungen und Morde findet leider keinen historischen Halt) Dabei waren sie so grausam, dass sogar die eigenen Soldaten den Gehorsam verweigerten. Um ihre Macht zu erhalten, liessen die Abassiden ganze türkstämmige Völker in ihren Gebieten ansiedeln und integrierten sie in ihr Militärsystem. Ibn Mahmood berichtet, dass diese Soldaten an Grausamkeit alles erlebte überboten. Jegliche Schandtat begingen sie nur auf ein Augenzeichen vom Kalifen. Aus dieser trockenen und schrecklichen Atmosphäre gingen verschiedene reaktionäre Bewegungen durch die islamische Gesellschaft, die zumeist schiitisch geprägt waren. Die wohl Erstaunlichste ist die Bewegung der Malamatiane Soofiani!(malamat: sarzanesh- von der Gesellschaft geächtet- Im Iran und Irak)

Die Malamatian sprechen von Fana Fi Allah mit der Vorlage der buddistischen Nirvana. Im Gegenteil zu vielen anderen Sufiorden, die die Triebhaftigkeit zu bezwingen versuchen (im indischen Raum Yoga), versuchen die Malamatian auf den Trieb zu achten und ihn zu beachten. Ein weiteres Merkmal von ihnen ist der Angriff auf die Äußerlichkeit. Die Sunniten werden als Zahereeye (Vorderseite/Fassade) und die Schiiten eher als Bateneeye (Innenseite/Wesentlich) eingestuft. Die Sufis sahen das Dilemma der Abassiden daran, dass sie nur das Äußere am Glauben sehen und das Innere nicht erkennen. (Imam Ali (A.S.): Vom Heiligen Koran werden sie nur das Leder verstehen) Also griffen sie die Äußerlichkeit an und achteten auf ein gutes und gepflegtes Aussehen.Mit Moeddin Ibne Arabi bekommen die Malamatian einen weiteren Einfluss: "Vahdate Vojood" - Pantheismus usw…

Es gibt Leute die behaupten, Khayyam würde diesem Sufiorden angehören. Ich habe sogar von Sufiorden gehört, die Khayyam in ihrem Stammbaum haben und seine Gedichte zeremoniell vortragen. Ich persönlich glaube nicht daran. Was ich aber glaube ist es, dass er von diesem Geiste und dieser Protestbewegung sehr beeinflusst war. Es ging ihm in erster Linie darum den Religionsmanagern zu trotzen. Er schrieb sozusagen erstrangig um des Protestes Willen. Das tat auch Hafez zu seiner Zeit auf seine Art und Weise. Die Protestmentalität von Khayyam ist eher mit der heutigen vergleichbar: Man lebt genau das Gegenteil von dem aus, was einem von oben befohlen wird! Das ist eine typisch persische Eigenschaft: Die anfängliche Resignation und der spätere kulturelle Protest. Und das wiederholt sich immer wieder in unserer Geschichte und ist für Aussenstehende ein Element unserer Berechenbarkeit!